Arbeitsfreude, Mehrstunden und Zeitausgleich

Ich bin im Arbeitsfluss, dort ein Außendienst, hier ein Projekt - meine Mehrstunden, ich sammle sie wie früher die Osterhasen. Die habe ich nie aufgegessen und dann warf meine Mutter sie weg, weil die Schokolade grau geworden war. Nein, meine Mehrstunden werden nicht grau, ich "baue sie ab". Das muss ich wohl können, denn Großvater 1 war Grubenarbeiter, der hat auch in Schlesien etwas abgebaut. Wohl keine Mehrstunden, außerdem ist er "in der Grube geblieben", wie seine Witwe, meine Oma, mir immer erzählt hat.

 Mehrstunden sammeln wir an, weil wir unsere Arbeit nicht in 40 Wochenstunden schaffen, länger als bis 20.00 Uhr bei Veranstaltungen mit Menschen gern arbeiten und unsere Projekte lieben. Sobald das alles erledigt ist, bauen wir besagte Mehrstunden ab, wie Kalorien, die wir verbrauchen, wenn wir gegessen haben. Auch das erledige ich fleißig, was zuviel ist, muss weg. Also hole ich ein wenig Leben nach - ja, ich weiß, das geht gar nicht - indem ich Zeitausgleich in mein Stundenblatt eintrage. Dabei werde ich recht ausgeglichen, habe kein schlechtes Gewissen und fühle mich so wie früher, wenn die Schule früher aus war. 

Das alles schreibe ich Arbeitspriveligierte mit einer 40-Stunden-Anstellung. Wenn alle ArbeitnehmerInnen ihre echten Stunden schrieben, dann wüssten Firmen, dass sie auch Arbeit umverteilen - und zwar auf neue ArbeitnehmerInnen - müssten. Man muss mehr verbrauchen, als man isst, dann nimmt man ab, sagt die Kalorien-Wissenschaft; in der Arbeit soll es die 80:20-Regel geben, sagt die Effienz-Arbeitsmaximierungs-Wissenschaft: Ich lese jetzt ein Buch über Work-Life-Balance und bin froh, dass ich sehr sehr gern arbeite und bin dankbar, dass ich eine Arbeit habe, die ich sehr sehr gern mach. Und jetzt beginnt mein Zeitausgleich, es grüßt eine zeitausgeglichene Arbeitnehmerin, eine, die um ihr Glück weiß