Ich war bei der Bank, sagte der Mann mit der Maske
- Geschrieben von Christina Repolust
Veränderte Zeiten, veränderte Handlungen, vertraute Gespräche
Da stand er, rote Jacke, rote Brille und die Maske über Mund und Nase. Es war beinahe Mitternacht, ein Hund bellte, sonst war es sehr still in der Gasse. „Ich war bei der Bank!“, hörte sie ihn sagen, ihr Blick blieb an der prall gefüllten Stofftasche hängen. Ja, so beginnen Krimis. So beginnt eine Szene, in der mein Mann mir erzählt, wie irritiert er war, als er mit Maske über Nase und Mund in die Bank ging. Er tätigte dort Überweisungen. Seit wir uns kennen und das ist wirklich lange, haben wir noch nie darüber gesprochen, wer von uns wann und mit welchem Ziel bei der Bank war. Ich nutze das digitale Bankservice, er geht zur Bank, so war es. Ich erzählte meinerseits, wie unangenehm der Einkauf im Bio-Markt war, alles bio-bio-bio und dann kennen dort zwei besonders Eifrige den kleinen Elefanten noch nicht, der doch zwischen mir und ihnen stehen sollte. Wenn man das Tierchen denn stehen ließe, ja, gut, stellen Sie sich, liebe Bobo-Bio-Einkäufer auch ein kleines Kalb oder eine Gemse vor oder eine Yoga-Trainerin „im herabschauenden Hund“ – nichts gegen Yoga-Trainerinnen! - : „Aber halten Sie bitte Abstand!“ Wir haben einander momentan viel zu erzählen, der Mann mit der Maske und ich.
Wenn du mir vorliest,
- Geschrieben von Christina Repolust
spüre ich, dass du mich magst.
Das spüre ich fast immer. Wenn ich es nicht spüre, mache ich die Augen ganz fest zu, so lange, bis ich es wieder fühle.
höre ich deine Stimme so, wie ich sie am liebsten mag.
Deine Stimme ist die schönste Stimme, die ich kenne. Wenn du zu viel schimpfst, schließe ich die Ohren; wenn es dann wieder ruhig da draußen ist, höre ich wieder zu.
sehe ich dein Lächeln.
Dein Lächeln ist wie der Himmel. Manchmal gibt es kleine Wolken und manchmal ist dein Gesicht voller Wolken. Dann gibt es noch Blitze in deinem Gesicht, besonders in deinen Augen. Und dann den Regenbogen, den sehe ich immer gerne, besonders dann, wenn wir gerade mal wieder Ärger hatten miteinander
rieche ich das Abenteuer der Geschichten.
Abenteuer riechen wie ein Fluss, wie ein alter Baum und wie Kartoffeln im Lagerfeuer. Wie Putzmittel riechen sie nie.
Vorlesen ist Liebe. Täglich zehn Minuten Zeit, für sich, für eine Geschichte, für das Kind, die Kinder, die Kleinen und die Großen, die gerne zuhören, weil sie dann so ruhig werden und wieder sehr viel spüren, hören, sehen und riechen. Die Liebe blättert die Seiten um.
Christina Repolust
Wann gehen die wieder?
- Geschrieben von Christina Repolust
Tür auf! Tür zu! Und weg sind sie! Kater Mio räkelt sich und miaut: „Die gehen heute endlich raus! Die Wohnung gehört wieder mir! Jetzt kann ich in Ruhe schlafen! Alles begann an einem Montag. Da blieben Papa Matthias, die 5-jährige Carla und der 8-jährige Moritz einfach daheim. Mama ging als einzige arbeiten. Kindergarten und Schulen sind zu, Papas Firma macht Home-Office und Mama Nina sitzt wie immer an ihrer Supermarktkassa. Es gab einen Lernplan für Moritz, fünf neue Puzzle für die Kleine und Riesenmengen an Kaffee für Papa. Ich bin stolz auf meine Familie.
Trotzdem
- Geschrieben von Christina Repolust
Schlechten Gewohnheiten trotzen
Vor vierzig Tagen lockten Schokolade,
verführten Nachrichten am Handy,
lauerten alte Fernsehgewohnheiten im Wohnzimmer:
Dieses Zuviel würde man in den Griff kriegen,
dazu gab man sich 40 Tage Zeit
Buntheit und Hoffnung erwarten
Etappensiege erreichte man Tag für Tag:
mehr Zeit für die Familie, weil weniger Fernsehen,
mehr Gesundheit, weil weniger Schokolade,
mehr Gespräche, weil weniger Handykommunikation.
Ein gutes Gefühl, sich und sein Leben im Griff zu haben.
Tod und Auferstehung erleben
Wir haben Krankheit und Tod nicht oder nur selten verdrängt,
wir haben uns letzte Momente vorgestellt und in Gedanken Abschiedsworte an die Liebsten formuliert,
wir haben gehofft, Eltern und Großeltern noch lange um uns zu haben,
und sie, wenn sie denn doch gehen mussten, im Sterben begleiten zu können.
Gute Gewohnheiten begrüßen
Wir kramen in Schachteln nach Kinderfotos und erinnern uns an früher,
wir winken Freunden via Skype zu,
wir lesen einander Gedichte vor,
spielen für die Nachbarn am Fenster ein Lied.
Suchen Ablenkung, wenn wir uns in dieser Enge auf die Nerven gehen.
Essen ein Stück Schokolade.
Ein Marienkäfer krabbelt auf der Fensterbank.
Sture, alte Leute!
- Geschrieben von Christina Repolust
Eigentlich wollte ich eine sture, alte Greisin werden. Ich wollte wie Astrid Lindgren noch auf Bäume klettern, laut singen und ausgelassen tanzen. Was mir die Jungen sagen würden, darauf würde ich pfeifen. Das Pfeifen müsste ich noch lernen und ich würde mir auch kleine Bäume aussuchen, um raufzuklettern. So habe ich mir das vorgestellt. Jetzt ist es aber Zeit, umzudenken. Fix noch einmal! Ich lerne gerade, um Hilfe zu bitten: Der Sohn kauft ein und stellt einmal in der Woche eine Tasche mit frischem Obst und Gemüse vor die Tür, auch mit frischem Brot. „Was Süßes willst du nicht?“ Der kennt mich gut und eigentlich müsst er die Antwort: „Das ist jetzt keine Zeit für Unnötiges. Kauf nur das Nötigste und schau auf dich!“, ja schon kennen. Daheimbleiben und auf mich zu schauen, das werde ich in der kommenden Zeit üben. Daneben übe ich das Pfeifen und turne ein wenig, das Ergometer muss sich noch von seinem Schreck erholen, dass ich es seit gestern benutze. Ja, andere Zeiten, andere Bäume und eine andere Sturheit. Fix noch einmal!
Trotzdem!
- Geschrieben von Christina Repolust
Marienkäfer queren Fensterbänke,
Magnolienblüten platzen auf,
Kinder greifen in Schokoladeteig,
Erwachsene trinken Kaffee.
Katzen putzen ihr Fell.
Normalität ist leise,
stolpert nicht,
ist da und beruhigt.
Eine träumt vom Meer,
einer tanzt beim Zähneputzen,
viele klatschen aus den Fenstern.
Zeitungspapier raschelt wie immer,
Katzen jagen Vögeln nach.
Normalität ist selbstsicher,
kennt keine Eile
und atmet ruhig.
Vögel jagen Katzen nach,
Marienkäfer trinken Kaffee,
Erwachsene queren Fensterbänke
Kinder sitzen in Bäumen
Die Normalität lächelt
und steckt den Kopf in den Schokoladeteig.
Christina Repolust, 19. März 2020
Ein Teller Suppe von Oma
- Geschrieben von Christina Repolust
Das rechte Maß zwischen Verschwendung und Geiz finden
Als ich sieben Jahre alt war, kam ein Fernsehapparat ins Haus. Genau genommen wurde er geliefert und genau genommen hatten wir auch Haus, sondern eine Wohnung und genau genommen kam das Gerät in die Wohnung meiner Oma: Zimmer, Küche, Kabinett und eine zufrieden Frau, die sich über das Gerät freute. Mittwoch, 15 Uhr, war Kasperl-Zeit, alle Kinder im Klausnerweg 3 und 1 durften kommen. Oma schenkte zum Fernsehvergnügen Himbeersaft aus, den verdünnte sie, je mehr Kinder anläuteten: „Frau Martin, dürfen wir ein bisschen Kasperl schauen!“
Kind, manchmal habe ich Angst!
- Geschrieben von Christina Repolust
Großeltern und Enkelkinder haben einander viel zu erzählen
Meine Großmutter kam 1898 in Schlesien zur Welt: Sie war 60, als ich geboren wurde und sie wurde der wichtigste Mensch meiner Kindheit. „Mach die Oma nicht traurig, frag sie nie nach dem Krieg!“ So lautete die Ermahnung meiner Eltern. Eine sinnlose Ermahnung, denn Oma erzählte mir immer wieder von ihrem Mann, der im Krieg gefallen war und ihrem Sohn Fritz, der „als vermisst gemeldet“ galt. Sie hoffte bis zu ihrem Tod, Fritz würde vom Roten Kreuz gefunden werden. Panzer machten Oma Angst, ich hasste sie stellvertretend für sie und übergab mich bei jedem Besuch am 26. Oktober in der Kaserne in Lienz. Vielleicht lag es an der Gulaschsuppe, vielleicht aber daran, dass Panzer und Gefahr für Oma für mich zusammengehörten. Als am 26. April 1986 der Reaktor-Unfall von Tschernobyl bekannt wurde, lebte Oma noch und sie tröstete mich am Telefon: „Lass doch die Kinder raus spielen. Wird nicht so schlimm sein!“
Trotzdem oder schöner gesagt: dessen ungeachtet
- Geschrieben von Christina Repolust
Wo wären wir heute alle, könnten wir mit diesem starken Wort nichts anfangen?
Ein Wort, das zwischen Wörtern, Wortgruppen und Sätzen eine Beziehung kennzeichnet, nennt man Konjunktion oder wer es gern einfacher hat: Bindewort. Das kann auch ein widerständiges Wort sein, also ein Wort, das Widerstand ausdrückt: Trotzdem lese ich. Trotzdem gehe ich. Trotzdem bin ich wie ich bin. Meine Generation las sich durch eine beliebte Buchserie „Der Trotzkopf“ und reifte dabei mit größeren Brüchen und Sprüngen hin zu Marlen Haushofer, Brigitte Schwaiger oder Elfriede Jelinek. Manche begannen sofort mit diesen großen Autorinnen der österreichischen Literatur, Ilse Aichinger will ich hier nicht vergessen. Trotzphasen hießen die Jahre, in denen ich nicht das machte, was meine Umgebung von mir wollte. Alte und junge Menschen trotzen Gefahren, Versuchungen und Verführungen, sie trotzen auch Autoritäten. Wo wären wir alle heute ohne diese Phasen, Tage und Jahre des Trotzes? Ich will hier raus, trotzdem bleibe ich daheim. Das ist die Höchstform des Trotzes: Sich selbst zu trotzen, den inneren Versuchungen zu widerstehen.
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